Diesmal geht es im Projekt „2 Sprachen, 1 Region“ mit neuen Partnern um die Begegnung und das Kennenlernen deutscher und tschechischer Jugendlicher, um die Methodik der Arbeit mit Jugendlichen und um Sprachanimation. Während des Covid-Winters fand ein Workshop für Lehrer statt, und wir haben fleißig einen einwöchigen Workshop für deutsche und tschechische Jugendliche vorbereitet.
Wir hatten die wunderbare Idee, dieses Treffen mit unserem Land-Art-Festival im Geopark zu verbinden. Die Kinder werden zusammen mit den Dozenten kreativ sein, sie werden die Möglichkeit haben, deutsche und tschechische Künstler bei der Arbeit kennenzulernen, sie werden sich inspirieren lassen und die Ergebnisse ihrer Arbeit auf unserem kleinen, aber feinen Land-Art-Festival präsentieren. Das ist doch eine tolle Idee, oder?
Wir fanden eine schöne Unterkunft unweit des untergegangenen Dorfes, in dem das Festival stattfindet, ein Ferienlager, das extra für uns sogar eine Woche früher öffnete. Wir haben hervorragende Dozenten, Dolmetscher und Sprachanimateure angesprochen, die es kaum erwarten konnten. Und wir haben uns an deutsche und tschechische Gymnasien gewandt. Anfangs war das Interesse groß, doch je näher der Termin rückte, desto mehr Teilnehmer sprangen ab oder änderten sich, aber am Ende kamen sie doch, und wir stürzten uns mit Begeisterung in das neue Abenteuer.
Die ganze Veranstaltung stellte sich als kleines soziales Experiment heraus.
Die Gruppe der Künstler bestand aus sehr netten, exzentrischen Menschen, die sehr schwer zu steuern waren. Also, eigentlich überhaupt nicht. Sie waren ein Alptraum für den Koch, der so gerne und gut kochte, aber nur selten die Gelegenheit hatte, seine Kostgänger einmal zu sehen, denn das Einhalten von Essenszeiten liegt außerhalb des Gedankenradius von Künstlern. Also haben wir ihnen Essen aufgehoben, und es entstanden neue Kombinationen, wenn sie sich zum Beispiel Blumenkohlsuppe anstelle von Soße über die Knödel und das Fleisch gossen. Künstler halt ... Die Kinder kann man in tschechische Mädchen, tschechische Jungen, deutsche Mädchen und deutsche Jungen einteilen. Wobei die Gruppe der tschechischen Jungen wundervoll und großartig war, ausgesprochen kreativ, aber im Grunde genommen fast schon langweilig brav.
Montag
Die Schüler wurden in Etagenbungalows untergebracht, die Jungen in dem einem und die Mädchen in dem anderen. Die deutschen Mädchen machten bald einen großen Aufstand, weil sie angeblich eine Maus auf ihrem Stockwerk gehört hatten. Auf dem Dach eines Naturcamps raschelt etwas – oh Wunder! Sie packten blitzartig ihre Koffer und sagten, dass sie dort nicht schlafen würden, weil Mäuse schon seit dem Mittelalter Krankheiten übertragen. Argumente waren sinnlos, aber die Mädchen kamen auf die geniale Idee, eine Etage der Jungenhütte zu besetzen, weil es dort keine Mäuse gibt. Die mögen nämlich kein Testosteron. Ihre Betreuer stimmten zu, und es kam zu einer großen Völkerwanderung. Die Aktion mit der Maus war nur ein Vorbote der Dinge, die da kommen sollten, aber das wussten wir noch nicht. Die tschechischen Mädchen erklärten pragmatisch, sie hätten keine Mäuse gehört und gesehen, und suchten sich zufrieden die besten Betten aus.
Während des Abendprogramms nahmen die Kinder mit solcher Begeisterung an dem ausgerufenen Wettbewerb teil, dass ein tschechisches Mädchen leider stürzte und einen Unfall erlitt. Ein ausgekugelter Ellbogen. Ein Krankenwagen, die Fahrt ins Krankenhaus, die Einlieferung, die Kommunikation mit den Eltern ... Die tapfere Schülerin interessierte sich vor allem dafür, wie der Wettbewerb ausgegangen war und flehte die anderen an, ihr einen Platz in der Werkstatt zu freizuhalten, sie könne doch sicher etwas mit der linken Hand machen.
Dienstag
Während die tschechischen Kinder eifrig per Telefon mit dem verletzten Mädchen kommunizieren, ist die Maus immer noch das Hauptthema im deutschen Lager. Die Schüler beginnen, in den Werkstätten zu arbeiten, und auf der Veranda vor dem Speisesaal ist eine improvisierte Holzwerkstatt entstanden, wo Rinde geschält, geschnitten, gefeilt und geschliffen wird, und aus einem umgestürzten Baumstamm entsteht langsam so etwas wie eine Bank. In den beiden anderen künstlerischen Workshops geht es um Tarnung und das Verschmelzen mit der Natur, wobei einige Teilnehmer so perfekt verschmelzen, dass sie in ihrer Tarnung einschlafen und nicht mehr zu finden sind. Es stellt sich heraus, dass sie bis in die Nacht hinein Netflix geschaut haben. In der Gruppe der deutschen Mädchen profilieren sich zwei junge Damen, die das gesamte Programm boykottieren und die ganze Gruppe sprengen. Das gipfelt in einem halbstündigen Telefonat mit einer Mutter, die sich über die hygienischen Bedingungen beschwert. Nicht nur, dass aus einer Maus plötzlich ein Rudel von Nagetieren wird, die jungen deutschen Unschuldslämmern auflauern, wir haben auch ein Problem mit den Badezimmern. Die Fräulein wollen nachts nicht auf die Toilette der Mädchenhütte gehen, und die Mutter ist ganz entsetzt darüber, dass sie das Bad mit den Jungen teilen. Ich teile ihr Entsetzen, denn die Bedingung für den Umzug war, dass sie nach nebenan gehen.
Mittwoch
Wir haben eine Überraschung für die Teilnehmer vorbereitet. Ein Nachmittag in einem untergegangenen Dorf, zum Abendessen Würstchen auf dem Feuer und Bohnen aus dem Kessel, ein Lichtmalerei-Workshop und eine Nachtwanderung durch den Wald zum Camp. In dem untergegangenen Dorf gibt es keinen Handyempfang. Überhaupt keinen. Für manche Kinder ist das völlig unverständlich. Für uns ist es auch problematisch, und so kommt es, dass sich der Wagen mit den Bohnen und Würstchen verspätet, aber dafür stürzen sich die Teilnehmer dann mit umso größerem Appetit auf ihn. Malen mit Licht ist fantastisch, da kommen Handys gerade recht. Prima! Der fünf Kilometer lange Rückweg über die Forststraße durch das Tal ist interessant. Die tschechischen Jungen laufen voraus und machen Schattenspiele mit der Taschenlampe. Die tschechischen Mädchen unterhalten sich auf Deutsch und Englisch mit den deutschen Dozentinnen darüber, wer welche Haustiere hat. Die deutschen Jungen prahlen damit, was sie alles in der Holzwerkstatt machen, und die meisten deutschen Mädchen klammern sich bei jedem Rascheln im Wald in gespielter Angst an ihre Helden. Die ersten kommen nach einer Stunde und zehn Minuten im Camp an, die letzten zwanzig Minuten später. Die tschechische Expedition legt sich gehorsam schlafen, während die andere Hälfte eine Stunde später immer noch in Gruppen durch das Lager streift. Moderne freie Erziehung, denke ich mir.
Donnerstag
Am Morgen eine weitere Szene der deutschen Mädchen. Der nächtliche Weg war angeblich furchtbar, und sie können definitiv nicht ab neun Uhr arbeiten. Als Leiterin verliere ich die Contenance und schimpfe fließend über den fehlenden Respekt gegenüber anderen. Sie rollen mit den Augen, lassen ihren nicht ausgetrunkenen Kaffee stehen und schlurfen zum Programm, während ich mich auf ein weiteres Telefonat mit einer deutschen Mutter einstelle. Letztendlich läuft aber alles ganz zufriedenstellend. Die verletzte Schülerin kommt erholt, mit einer Schiene und hervorragender Laune zurück. Nachmittags reist eines der deutschen Mädchen ab. Angeblich hat sie Heimweh, also holt ihr Papa sie ab. Bloß hat sie irgendwie vergessen, uns das zu sagen ...
Bis zum Abend ist alles fröhlich. In der Holzwerkstatt hauen die deutschen Jungs auf den Putz; sie kommen sich vor wie Profis, und wenn die Mädchen vorbeikommen, zeigen sie ihnen, wie man mit einer Hand schleift. Aber oha, leider kann einer von ihnen die Schleifmaschine nicht halten und schleift sich eine schöne Rille ins Knie. Und wieder rufen wir einen Krankenwagen und fahren zum Nähen. Mit fünf Stichen kehrt der Junge wie ein Held zurück, macht sich tapfer wieder an die Arbeit und steigt sichtlich in den Augen seiner Bewunderinnen. Es sieht so aus, als ob die ganze deutsch-tschechische Gruppe endlich wie ein Team funktioniert.
Freitag
Die Ruhe vor dem Sturm. Am letzten Tag vor dem Festival schuften wir wie die Tiere. Die Kinder in den Workshops verleihen ihren Aufführungen den letzten Schliff, am Morgen reist ein weiteres deutsches Fräulein ab, eine von den Querulantinnen – ich frage lieber nicht ... Wahrscheinlich die Mäuse oder der Kulturschock. Jedenfalls hat sie es wenigstens angekündigt und sich verabschiedet. Am Nachmittag fahren wir mit dem Bus in das untergegangene Dorf, das sich in einen quicklebendigen Ort verwandelt. Wir bauen die Bühne und Zelte auf, rücken Tische und Bänke und richten die Werkstätten ein. Die Holzarbeiter stellen die inzwischen fertigen, schönen Bänke vor dem ehemaligen Schulgebäude auf. Als wir mit dem Auto zum Camp fahren, um unser Vesper zu holen (der Koch hat Obstkuchen gebacken), stoßen wir auf einem schmalen Waldweg auf einen verlassenen Traktor. Hier passt der Bus nicht mal zufällig durch! Als ich am Freitagnachmittag wieder Handyempfang habe, scheuche ich den örtlichen Bürgermeister auf, der alle Holzfäller in der Gegend anruft. Angeblich hat keiner den Traktor im Wald stehen gelassen. Auf dem Rückweg ist der Traktor nicht mehr verlassen, aber ein Rad ist abmontiert, und drei Männer stehen mit verzweifelten Gesichtern daneben. Ich besteche sie mit Kuchen, und sie erklären in gebrochenem Tschechisch, dass ihnen ein Schlauch abgefallen ist, aber bis um sechs Uhr werden sie ihn sicher repariert haben. Mein Kleingeist bezweifelt das, aber sie halten ihr Versprechen, und nach sechs Uhr steht der Traktor neben der Straße im Wald und der Bus mit den Teilnehmern, Dozenten und Sprachanimateuren kann durchfahren. Wir übernachten vor Ort und bereiten alles für das Festival vor, denn das Glück hilft den Vorbereiteten ...
Samstag
Die Teilnehmer arbeiten großartig – eine angenehme Überraschung nach dieser ganzen Woche. Die Performances und das Imaginarium sind perfekt vorbereitete Darbietungen auf hohem Niveau, die das Publikum mit ausgiebigem Beifall belohnt. Ich bin sehr froh, vor allem wegen der Dozenten, die es diesmal nicht immer leicht hatten und trotzdem ihre Überzeugung, ihre Arbeitslust und ihre gute Laune nicht verloren haben. Ihnen gilt meine unendliche Bewunderung. Auch die Holzhandwerker präsentieren stolz ihre Kreationen; die Bänke sind dauernd von Zuschauern besetzt und stehen hoch im Kurs, ebenso wie die herrlichen Kegelspiele aus Holz. Ende gut, alles gut, könnte man sagen. Doch ein Festival an einem Ort zu veranstalten, an dem es keinen Handyempfang gibt, ist eine so kniffelige Angelegenheit, dass sie ein eigenes Kapitel verdient.
Das Festival
In unserem Geopark Ralsko veranstalten wir seit mehreren Jahren ein Land-Art-Festival. Einige der untergegangenen Dörfer (es sind schon 20 auf dem ehemaligen Militärgelände) werden immer für eine Woche neu von Künstlern belebt, die im Einklang mit der Natur schöpferisch arbeiten und ihre Werke dann am Samstag im Rahmen unseres Festivals präsentieren. Dieses Jahr findet das Festival wieder in Jabloneček statt, in einem malerischen Tal, in dem die Ruinen einer tschechischen und einer deutschen Schule und unser Holzpavillon stehen. Ringsum gibt es nur die Natur, die hier schon seit dreißig Jahren macht, was sie will. Und es gibt keinen Handyempfang. Überhaupt gar keinen. Aber wir sind kompetent und enthusiastisch, also hält uns doch so etwas nicht auf ...
Die Workshop-Teilnehmer bringt ein Bus aus dem Camp, der dann als Shuttlebus von Mimoň aus zum Festival fährt. Ein weiterer Bus kommt aus Großhennersdorf mit den Teilnehmern der parallel stattfindenden Workshops unseres Jugendprojektes, und ein dritter soll die Festivalbesucher aus Zittau bringen. Aber der kommt und kommt nicht. Wir können nicht anrufen, also warten wir. Der Bus kommt mit Verspätung an, weil der Fahrer die Teilnehmer aus Versehen zu einem anderen Festival ganz in der Nähe gebracht hat. Bevor sie das gemerkt und alle wieder eingesammelt haben, hatten sie schon fast eine Stunde Verspätung. Und in Jabloneček haben sie dann festgestellt, dass fünf Personen fehlen. Man kann nicht telefonieren, also fährt ein Freiwilliger mit dem Auto zu dem anderen Festival, um dort nach unseren Besuchern zu suchen.
Um die Mittagszeit herum schwächelt das Programm etwas, aber das ist nicht weiter schlimm. Die Jugendlichen präsentieren die Arbeiten aus ihren Workshops mit großer Begeisterung. Die Sonne brennt, am Imbissstand regt sich etwas. Der Zapfhahn ist kaputt, und es fließt weder Bier noch Kofola noch Himbeerlimonade. Mitten auf dem Festival, in der Mittagshitze, an einem Ort ohne Handyempfang ... Der Standbesitzer fährt mit seinem Telefon los, um nach Handyempfang und einer Lösung des Problems zu suchen. Wir schicken den Freiwilligen, der bereits die verirrten Zittauer mitgebracht hat, los, um irgendwo schnell ein paar Getränke zu kaufen, und ich sage mir, dass wir das doch gut gelöst haben. Aber oha – leider kehrt der Freiwillige eine halbe Stunde später mit leeren Händen zurück. Er hat eine verletzte Radfahrerin im Wald gefunden und es gab keinen Handyempfang ... Also hat er Erste Hilfe geleistet und ist soweit gefahren, bis er wieder Handyempfang hatte, um einen Krankenwagen zu rufen und kehrt jetzt zum Festival zurück, um die Krankenschwester zu holen. Die ist nirgends zu finden, weil sie im Schatten ihr Baby stillt. Endlich gefunden, macht sie sich auf den Weg zu der Radfahrerin, und der Freiwillige begibt sich auf seine ursprüngliche Mission. Etwa eine Stunde später kommt der Standbesitzer zurück, bastelt etwas unter den Zapfhahn, und hurra! das Bier fließt wieder. Zwar auf Kosten der Himbeerlimonade, aber es fließt!
Die Hitze ist mörderisch, und die ersten Besucher fahren ab. Das heißt: sie würden gern, aber sie warten auf den Shuttlebus, der nicht kommt. Wir wissen nicht, was los ist; Telefone sind nutzlos. Der Freiwillige kommt mit Getränken zurück und der Nachricht, dass eine Radfahrerin mit Kopfhörern unter die Räder des Busses geraten ist und sich die Polizei um den Unfall kümmert ... Also steigt er wieder ins Auto und ersetzt mit einem weiteren Freiwilligen den Shuttlebus und bringt die Besucher aus der Wildnis in die Zivilisation zurück. Inzwischen suchen wir den Fahrer des Busses, der aus Zittau gekommen ist, mit Zwischenstopp auf einem anderen Festival. Der Bus parkt im Schatten und könnte den feststeckenden Shuttlebus ersetzen. Ohne Telefon laufen wir durch das Tal und sprechen alle Männer an. Was glauben Sie, haben wir ihn gefunden? Nein. Er saß im Shuttlebus, der schließlich eine Stunde später eintraf. Der Fahrer ist unschuldig, die Radfahrerin (schon die zweite) im Krankenhaus, und alles funktioniert wieder.
Um 5:00 Uhr nachmittags wird es langsam wieder still im Tal. Die zufriedenen Besucher fahren ab, die Künstler verabschieden sich, die Jugendlichen fahren zurück ins Camp, um ihre letzte Nacht zu genießen. Wir packen zusammen, räumen auf und setzen uns am Abend völlig erschöpft mit den Helfern und Freiwilligen ans Feuer. Die Krisensituationen verwandeln sich in wunderbare Anekdoten, die wir uns noch lange Zeit erzählen werden. Die Natur übernimmt langsam wieder die Herrschaft über das Tal mit den Kunstwerken aus Naturmaterialien, die ein Teil davon werden, bevor sie irgendwann zerfallen. Am nächsten Tag kehren wir in die Zivilisation zurück, wo ein Blick auf das Handy genügt, um viele Probleme zu lösen. Aber das war es uns wert!